Erklärung zur EU-Charter Abschiebung vom 14. September 2005
Da einige Informationen erst spät heraus kamen, folgt der Text erst
jetzt.
Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen
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Hamburg, 20.09.05
An die Öffentlichkeit
- Erneute "Nacht und Nebel" Aktion und anschließende Irreführung der
Öffentlichkeit
- Hamburger Behörden koordinieren europaweite Deportation in
afrikanische Länder
- Trotz ungezügeltem Staatsterror war Togo ebenfalls Zielland
Bei völliger Geheimhaltung versammelten sich unter Führung der Hamburger
Innenbehörde und der Bundespolizeidirektion Sicherheitskräfte und
Abschiebebürokraten aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich,
Belgien, der Niederlande, der Schweiz, Malta, Italien und Spanien in der
Nacht vom 14. auf den 15. September 2005 auf dem Hamburger Flughafen.
Anlaß war die Abschiebung von 27 Menschen nach Togo, Nigeria und Benin.
15 Menschen lebten in Deutschland (8 in Hamburg). 12 Menschen kamen aus
den anderen genannten europäischen Ländern. Spanien und Italien
beteiligten sich als "Beobachter" an der Aktion.
In der Pressemitteilung des Bundesinnenministerium (BMI) hieß es am
nächsten Tag: "Bei den aus Deutschland abgeschobenen 15 Ausländern,
handelt es sich ausschließlich um Personen, deren Abschiebung zuvor
bereits an erheblichem Widerstand gescheitert war …".
Ein Lüge, wie später auf Nachfragen des lokalen Radios Rostock (LOHRO)
herauskam. Das Mecklenburg-Vorpommersche Innenministerium gab an, daß es
bei den beiden togoischen Flüchtlinge aus Mecklenburg keinen vorherigen
Abschiebeversuch gab und beide nie straffällig geworden waren. Bei den
acht aus Hamburg abgeschobenen Menschen mußte die Hamburger
Ausländerbehörde zugeben, daß es bei sechs Personen der erste
Abschiebeversuch war. Lediglich bei zwei Menschen gab es bereits zuvor
Abschiebeversuche. Widerstandshandlungen werden negativ ausgelegt und
widerständige Personen als kriminell, renitent und gefährlich
dargestellt.
Wenn aber die Frage gestellt würde, wogegen Widerstand geleistet wird,
dann wird der Widerstand nicht nur verständlich sondern muß als legitim
bezeichnet werden. Die Abschiebung eines Menschen, der aus einer
existenzbedrohenden Situation geflohen ist, dessen Recht auf Schutz
verweigert wurde und der in die bedrohliche Situation zurückgebracht
werden soll, ist nie zu akzeptieren und ruft logischerweise Widerstand
hervor.
Die Pressemitteilung des BMI ist eine bewußte Täuschung der
Öffentlichkeit. Sie dient dazu, rassistische Stereotype zu reproduzieren
und gleichzeitig die verdeckten "Nacht und Nebel" Aktionen der Behörden
zu rechtfertigen.
MenschenrechtsaktivistInnen, die Zeugen einer Charterabschiebung nach
Togo im Jahr 2004 wurden, wissen um die Bedeutung der Geheimhaltung. Die
damalige Aktion fand unter Einsatz von maskierten, mit Gas und
Tonfa-Schlagstöcken ausgerüsteten Polizeieinheiten statt. Die
abgelehnten Asylbewerber wurden gefesselt und Helme über ihre Köpfe
gezogen.
Bei einer anderen Sammelabschiebung wurden allen Flüchtlingen sogenannte
Body-Cuffs angelegt. Dies sind US-amerikanische Gurtfesselsysteme, bei
denen durch Verkürzung der Verbindungssseile Arme und Beine zum
Körpermittelpunkt zusammengezogen werden. Häufig wird von massiver
Gewaltanwendung berichtet. Von der Abschiebung am 14. September
berichtete ein Betroffener wie er und sieben weitere aus der
Abschiebehaft in der JVA Fuhlsbüttel geholt wurden: Es kam viel Polizei.
Alle mußten sich auf den Boden legen. Wessen Name aufgerufen wurde,
mußte aufstehen und wurde sofort in Handschellen gelegt. Wer nicht
schnell genung war, wurde geschlagen.
Außer den staatlichen Verfolgern und den Opfern gibt es keine Zeugen.
Diese soll es auch am Flughafen nicht geben. Dafür wurde zum
wiederholten Mal das im Hamburger Luftraum geltende Nachtflugverbot
aufgehoben.
Als Menschenrechtsorganisation verurteilen wir die Abschiebepraxis und
fordern die Offenlegung aller Informationen über die
Charterabschiebungen sowie den Stop aller weiteren Abschiebeflüge. Die
bisher bekannt gewordene Praxis deutet auf massive
Menschenrechtsverletzungen hin.
Mit den Abschiebungen von politischen Verfolgten nach Togo machen sich
Deutschland und andere europäische Länder zum Handlanger des
tyrannischen RPT-Regimes in Togo. Seit Monaten fordern togoische
Oppositionelle und Menschenrechtsorganisationen einen Abschiebestop in
das Westafrikanische Land. Selbst das UNHCR warnt vor Abschiebungen nach
Togo. Seit der Machtübernahme durch den Diktatorensohn Faure Eyadema
läuft eine landesweite Säuberungswelle, der über tausende Togoer und
Togoerinnen zum Opfer gefallen sind. Es gibt zahlreiche Berichte über
extralegale Hinrichtungen, Vergewaltigungen, Folter und Mißhandlungen.
Ca. 100.000 Menschen flohen in die Nachbarländer Benin und Ghana und
wöchentlich fliehen weitere Menschen.
Die Abschiebepolitik Deutschlands ist völlig losgelöst von der Situation
in den Fluchtländern und steht nicht im Ansatz im Einklang mit den
internationalen Flüchtlingsschutzkonventionen.
Außer den Abschiebungen nach Togo fanden in den letzten Wochen
großangelegte Sammelabschiebungen von vornehmlich Kurden und Kurdinnen
in die Türkei und von Tamilen und Tamilinnen nach Sri Lanka statt. Auch
hier wurden das Handeln der Behörden als "Nacht und Nebel" Aktion
bezeichnet. Von nächtlichen Überfälle auf Familien und Gewalt und
Androhung von Gewalt wurde berichtet.
In Sri Lanka wurde wenige Tage vor den Abschiebungen der Ausnahmezustand
ausgerufen, nachdem ein Minister Opfer eines Attentats geworden war.
In der Türkei hat sich der Krieg des türkischen Militärs gegen die
kurdische Bevölkerung drastisch verschärft. Gleichzeitig erschüttert
eine türkisch national-chauvinistische Welle das Land, der bereits
mehrere Kurden zum Opfer gefallen sind. Statt einer Protestnote gegen
das Vorgehen des türkischen Staates gegenüber der kurdischen Bevölkerung
unterstützt die Bundesregierung das völkerechtswidrige Handeln mit
Razzien bei kurdischen Verlagen und dem Verbot der kurdischen
Tageszeitung "Özgür Politika".
Karawane-Hamburg
Hamburg. 20.09.2005