DIE ZEIT
Esel, Fahrräder und andere Bomben
Die Gefahr für deutsche Soldaten in Afghanistan wächst. Gleichzeitig bekommen sie neue Probleme: Mohnanbau und Warlords
Von Jochen Bittner
Kabul, Kundus
Lustlos schiebt der Bundeswehrsoldat die Gabel unter die Spaghetti bolognese. Die Arme hat er um den Teller gelegt wie ein Warndreieck. Kein Gesprächsbedarf, signalisiert die Körpersprache. Es braucht eine besonders naive Frage, damit er dem Journalisten schließlich doch den Kopf zudreht. Im Feldlager Kundus lockt der Biergarten Foto: Jochen Bittner für DIE ZEIT BILD
»Nein«, sagt er. Natürlich könne man nicht mal abends raus aus dem Lager. Sich Kabul ansehen, ein Bier trinken? Das sonnengerötete Gesicht verzieht sich. »Ohne klaren dienstlichen Auftrag würde ich niemals das Camp verlassen. Nicht freiwillig.«
Aber warum nicht? Es wirkt so ruhig da draußen.
Der Soldat legt die Gabel beiseite.
»In Deutschland bekommt ihr doch nur zehn Prozent dessen mit, was hier in Afghanistan passiert. Ist vielleicht auch gut so.«
Immerhin bekommen die Deutschen mit, dass der Oberste Gerichtshof Afghanistans dem zum Christentum übergetretenen ehemaligen Muslim Abdul Rahman die Todesstrafe androhte. Für eine solch menschenverachtende Rechtsordnung schickt Deutschland Soldaten und Millionen Euro an den Hindukusch?, empört sich da manch einer. Riskieren Deutsche etwa dafür ihr Leben?
»Europa wird sich an Bodybags gewöhnen müssen«
Der Auftrag der Soldaten ist freilich ein ganz anderer: Sie sollen Afghanistan einen Weg in die Gemeinschaft demokratischer, rechtsstaatlicher Länder ebnen. Und dafür werden sie, Rahman-Diskussion hin oder her, künftig nicht weniger, sondern mehr Risiken eingehen müssen. Laut Nato-Plan übernimmt die Bundeswehr in den kommenden Monaten die faktische Kontrolle über ein Viertel des Landes. Mehrere hundert Soldaten werden dafür zusätzlich an den Hindukusch geschickt – und ihre Mission verspricht nicht leichter, sondern schwieriger zu werden. Denn die USA verlieren allmählich die Lust, die Drecksarbeit des Kampfes gegen die Taliban allein zu machen.
Kabul, Hauptstadt, Grenzstadt. Nördlich der Millionenkapitale herrscht mit 9000 Soldaten die Nato-geführte Isaf-Stabilisierungstruppe und um sie herum weitgehend Frieden. Südlich von ihr herrscht mit 19000 Soldaten die US-geführte Operation Enduring Freedom und um sie herum weitgehend Krieg. Im Norden, noch gröber gesagt, leistet Europa Entwicklungshilfe, im Süden jagt Amerika Terroristen. Doch mit dieser Arbeitsteilung dürfte es bald vorbei sein. Die Stabilisierungsmission Isaf weitet im Lauf dieses Jahres ihr Mandatsgebiet in den Südwesten aus. Ihre Truppen werden um bis zu 6000 Mann aufgestockt, während die Amerikaner 2500 abziehen wollen. Die Bundeswehr erhält das Kommando über den gesamten Nordsektor, eine Fläche halb so groß wie Italien. Dafür hat der Bundestag die Obergrenze des Kontingents von 2250 auf 3000 Soldaten angehoben. Unbehagen bereitet manch einem Bundeswehrangehörigen das Kleingedruckte im Parlamentsbeschluss vom vergangenen September. Sollten »Unterstützungsmaßnahmen zur Erfüllung des Isaf-Gesamtauftrags unabweisbar sein«, steht da, könnte die Bundeswehr auch in anderen Landesteilen eingesetzt werden. Sprich: Aus den Aufbauhelfern könnten Kombattanten werden.
Diese Sogwirkung fürchtet nicht nur der Soldat in der Kantine. Schon jetzt, sagt er, hätten er und seine Kameraden Angst, zusammen mit amerikanischen GIs in Kabul auf Streife zu gehen. »Die Bevölkerung mag die Amerikaner nicht«, bestätigt ein portugiesischer Offizier während einer Patrouillenfahrt durch die Stadt, »sie werden am häufigsten angegriffen.« Am Straßenrand strecken Kinder dem Jeep erhobene Daumen entgegen. »Gegen die Amerikaner werfen sie Steine.«
220 Soldaten haben die USA seit der Invasion im Oktober 2001 in Afghanistan verloren. Das klingt im Vergleich zum Irak nach einer kleinen Zahl, ist es aber nicht. Im Irak starben 2300 US-Soldaten, aber dort stehen auch insgesamt 130000 Soldaten. Damit ist das Risiko für Soldaten am Südhang des Hindukuschs statistisch nicht wesentlich kleiner. Das mag ein Grund dafür sein, warum amerikanische Nato-Diplomaten die schleichende Verschmelzung der Aufträge lieber als »Synergie« beschreiben. Die Bundeswehr müsse auch zu »robusteren Missionen« im Süden Afghanistans bereit sein, fordert ein ranghoher US-Vertreter im Brüsseler Hauptquartier. »Machen wir uns nichts vor«, sagt ein anderer, »aus der Isaf wird eine Kampftruppe. Europa wird sich an Bodybags gewöhnen müssen.«
Doch selbst wenn sich die Bundeswehr amerikanischer Begehrlichkeiten erwehren kann – die Terroristen wird sie sich kaum vom Leib halten können. Auch in ihrem angestammten Mandatsgebiet im Norden wird das Klima rauer. Noch wohnen die Soldaten des Provincial Reconstruction Team (PRT) in Kundus im »gemütlichsten Feldlager, das die Bundeswehr zu bieten hat«, wie einer von ihnen verschmitzt bemerkt. Zwischen den Wohncontainern sprießen Mandelbäumchen, Holzstege führen durch verwinkelte Gässchen in den Biergarten »Lummerland«. Mit dem landestypischen Mudschahedin-Schal um den Hals und der Gelassenheit von Dauercampern auf dem Gesicht verströmt manch ein Offizier hier eher das Flair einer Friedensfachkraft als den Ruch des Kämpfers.
Doch mit der volksnahen Idylle ist es nun bald vorbei. Auf einem Hochplateau außerhalb der Stadt baut die Bundeswehr ein neues Feldlager. Größer muss es werden als das alte, 400 Soldaten Platz bieten. Aber der Umzug, sagt ein Major, sei auch der Sicherheitslage geschuldet. »Die verschärft sich, ganz klar.«
Woran macht er das fest?
Seine Miene wird ernst.
»All die Kleinigkeiten, die uns untergeschoben werden…«, sagt er. »Wir finden dauernd selbst gebaute Sprengkörper am Straßenrand. Für bestimmte Islamisten ist das hier ein Spielplatz, genau wie der Irak. Mal bepacken sie Esel mit Dynamit, mal Melonen. Die lassen sich immer was Neues einfallen.«
Ende Februar war es ein Fahrrad, das ein Attentäter an den Jeep einer Bundeswehreinheit in Kundus schob. Die Explosion riss vier Afghanen in den Tod und verwundete ein Dutzend weitere. Der Bundeswehrsoldat, der den Jeep bewachte, kam mit Splitterverletzungen an Armen und Beinen davon. Gut möglich, sagt ein Sanitäter, dass ihm nur seine Schutzweste das Leben rettete. Gleichwohl sind die Soldaten noch immer mit den nur leicht gepanzerten Wolf-Geländewagen unterwegs. Rundum geschützte Wagen, wie der Dingo, stehen nicht einmal halb so viele bereit.
Bei der lokalen Bevölkerung, versichern die Soldaten, seien sie zwar gut angesehen. Doch es gebe Berichte, wonach »Leute aus dem Süden« hinauf in den Norden kämen. Gemeint sind Reste der Taliban. Rund um Kandahar brennen die radikalen Islamisten in jüngster Zeit immer mehr Schulen nieder und erschießen oder enthaupten Lehrer. Doch auch säkulare Feinde hat die neue Ordnung, die der Westen nach Afghanistan bringt. Laut Nato tummeln sich noch rund tausend »illegal bewaffnete Gruppen« im Land, jeweils zwischen 20 und 200 Mann stark. Sie dienen oftmals als Privatarmeen für »Power Brokers«, wie Stammesführer und Warlords in der Militärsprache heißen. Ihre Kriegskassen füllen sie mit Erlösen aus dem Opiumhandel. Aus Afghanistan stammten gut 80 Prozent des Heroins auf der Welt, berichtet ein britischer Diplomat. Gut die Hälfte des Bruttosozialprodukts werde mit dem Mohnanbau bestritten. 1,5 Millionen Bauern seien davon abhängig; rechne man ihre Familienmitglieder dazu, seien es sogar 8 Millionen Menschen. 2005 seien 4500 Tonnen Opium produziert worden. Es ist der Rohstoff für die politische Macht der Milizenfürsten. Das Hauptanbaugebiet liegt in der Region um Faisabad, also: im deutschen Sektor.
Das schlimmste Szenario: Warlords und Islamisten verbünden sich
Offiziell ist die Drogenbekämpfung zwar Sache der neu gegründeten afghanischen Armee. Aber werden sich die deutschen Soldaten verweigern können, wenn ihre afghanischen Kollegen sie bitten, Wache zu stehen, während sie die Mohnfelder abfackeln? Die Felder in Rosenbeete (eine ernsthafte Option) oder andere Anbaugründe umzuwandeln, erklärte Präsident Hamid Karsai kürzlich, werde noch mindestens zehn bis fünfzehn Jahre dauern. So lange wird die Bundeswehr kaum in Kauf nehmen können, dass vor ihren Augen der Treibstoff für Drogentod und organisiertes Verbrechen in Europa gedeiht.
Im Küchenzelt des Lagers Kundus setzt sich ein junger Offizier zu Tisch. »Das Schlimmste wäre«, sagt er nüchtern, »wenn die lokalen Machthaber islamistische Kämpfer bezahlen würden, um die Antidrogenoperationen zu stören. Dann könnten Warlords und Dschihadisten uns plötzlich als gemeinsamen Feind entdecken.« Noch verdirbt ihm die Vorstellung nicht den Appetit. Das Essen, immerhin, ist standhaft unislamisch. Cordon bleu mit Kroketten.
DIE ZEIT 30.03.2006 Nr.14
14/2006