von EVA WEIKERT
Zeinab A. stammt aus dem Libanon. 1989 ist sie vor dem Bürgerkrieg nach Hamburg geflohen, zwei ihrer drei Kinder sind hier geboren. Sie wachsen in einer öffentlichen Unterkunft auf, denn Zeinab A. darf keine Wohnung anmieten. Die 32-Jährige darf in Hamburg auch keine Berufsausbildung machen oder einen festen Job annehmen. Wenn Schulferien sind, fahren die A.s nicht weg, denn sie dürfen das Territorium des Stadtstaates nicht verlassen - seit 16 Jahren. Der Grund ist ihr Status: Zeinab A., ihr Mann und ihre Kinder bekommen von Hamburgs Ausländerbehörde keine Aufenthaltserlaubnis, sondern alle paar Monate nur eine Verlängerung ihrer Duldung.
Gestern ist Zeinab A. mit einem Schild in die Rathauspassage gekommen. "Wir fordern ein Bleiberecht" hatte sie darauf geschrieben und sich zusammen mit anderen Migranten an den Rand einer Pressekonferenz gestellt, zu der der Flüchtlingsrat eingeladen hatte. Anlass war ein Gesetzentwurf für ein Bleiberecht langjährig Geduldeter, den die Grünen gestern in Berlin in den Bundestag einbrachten und für den die Flüchtlingshelfer Unterstützung demonstrierten.
Zugleich zog der Rat eine Bilanz der Hamburger Flüchtlingspolitik ein Jahr nach Start des Zuwanderungsgesetzes, das unter anderem auf Abschaffung der "Kettenduldungen" abzielt. Sprecherin Conni Gunßer warnte, das Gesetz greife nicht: "Die Hamburger Praxis sieht im Gegenteil so aus, dass Geduldete gnadenlos und zunehmend in eindeutig rechtswidriger Weise abgeschoben werden." (siehe Kasten)
Dem Zuwanderungsgesetz zufolge soll eine Duldung höchstens bis zu 18 Monate nach Einreise gelten und danach eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Nach Angaben der Organisation Pro Asyl leben bundesweit aber immer noch mindestens 200.000 Menschen als Geduldete, mehr als zwei Drittel sind länger als fünf Jahre hier. Als offiziell Ausreisepflichtige können sie jederzeit abgeschoben werden.
Durch das dauerhafte Leben in Angst würden die Betroffenen "regelrecht zerstört", warnte gestern Anne Harms von der kirchlichen Hilfsstelle "fluchtpunkt" in Altona, als sie mit dem Flüchtlingsrat vor die Presse trat. Je länger die Duldung hinausgezogen werde, desto häufiger träten psychische Erkrankungen auf: "Beschämenstes Opfer", so Harms, "sind die Kinder, die in Angst und Perspektivlosigkeit leben."
Weil das Zuwanderungsgesetz nicht vermochte, die Praxis abzuschaffen, schlagen die Bundesgrünen eine Altfallregelung vor. Demnach sollen die Ausländerbehörden Migranten, die seit 2000 mit einer Duldung im Bundesgebiet leben, eine Aufenthaltserlaubnis erteilen - unabhängig von ihrer wirtschaftlicher Lage. Damit gehen die Grünen über einen Vorschlag von Seiten der SPD hinaus, die die Gewährung des Daueraufenthaltes an eine feste Arbeit koppeln will. Einen sozialversicherungspflichtigen Job vorzuweisen ist Geduldeten fast unmöglich, da sie nur zwei Stunden am Tag arbeiten dürfen. "Diesen irrwitzigen Kreislauf müssen wir durchbrechen", forderte gestern die Hamburger Grüne Antje Möller.
In der Hansestadt leben etwa 12.500 Migranten mit dem unsicheren Status, die meisten stammen aus Ex-Jugoslawien oder Afghanistan. Im 1. Halbjahr 2005 beantragten nach Angaben des Senats 2.375 Geduldete eine Aufenthaltserlaubnis. Nur 409 Ersuchen sei stattgegeben worden.
Der Flüchtlingsrat beklagt, ein Großteil der Geduldeten stelle gar keinen Antrag aus Angst, "schlafende Hunde zu wecken", so Sprecherin Gunßer, und bei Äußerung des Bleiberechtsanspruchs unverzüglich abgeschoben zu werden.
taz Hamburg vom 20.1.2006, S. 21, 119 Z. (TAZ-Bericht), EVA WEIKERT
Die SPD hat einen Antrag in der
Bürgerschaft eingebracht, der eine Bleiberechtsregelung für solche Flüchtlinge
fordert, die seit Jahren mit einem Duldungsstatus in Hamburg leben. Ziel des
Antrags sei es, die angebliche Blockadehaltung des Senats aufzufordern, die
Bleiberechtsregelung für gut integrierte, nicht straffällige Ausländer mit
mindestens sechsjährigem Aufenthalt nicht länger zu blockieren, so der
innenpolitische Sprecher der SPD, Andreas Dressel. ee
Artikel erschienen am Fre, 20. Januar 2006, Die Welt (Hamburg-Ausgabe)
Donnerstag, 19. Januar 2006, n-tv
Rund 150.000 Flüchtlinge, die seit Jahren in Deutschland nur geduldet werden,
dürfen auf ein dauerhaftes Bleiberecht hoffen. Ein entsprechender Gesetzentwurf
der Grünen stieß am Donnerstag im Bundestag auch bei SPD, FDP und Linkspartei
auf Sympathie. Klare Ablehnung kam aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion: Reinhard
Grindel (CDU) warnte vor einem "Ansturm" von Ausländern und warf den Grünen vor,
sie wollten für mehr Zuwanderung sorgen.
Nach den Vorstellungen der Grünen soll Ausländern eine Aufenthaltserlaubnis
erteilt werden können, wenn sie zum Ende des vergangenen Jahres mindestens fünf
Jahre rechtmäßig in Deutschland gelebt haben. In Härtefällen, etwa bei
traumatisierten Kriegsopfern, soll dies auch nach einer kürzen Frist möglich
sein. Man wolle den Betroffenen damit nach jahrelanger Unsicherheit eine
Zukunftsperspektive bieten, sagte der migrationspolitische Sprecher der
Grünen-Fraktion, Josef Winkler.
Schon seit langem ringt die Politik um eine Lösung für jene Ausländer, die nach
der aktuellen Rechtslage abgeschoben werden müssten, aber teils schon seit
Jahren -meist aus humanitären Gründen -in Deutschland geduldet werden. Zuletzt
hatte im Dezember die Innenministerkonferenz vergeblich nach einem Kompromiss
gesucht.
SPD und FDP unterstützen den Grünen-Vorstoß, mahnten aber unter anderem
strengere Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht an. So sollten die
Betroffenen ihren Lebensunterhalt selbst sichern können und nicht straffällig
geworden sein. Auch die Linkspartei, die einen weiter gehenden Gesetzentwurf
eingebracht hatte, sprach von einem "Schritt in die richtige Richtung".