Hierbei handelt es sich um einen Vortrag, den ich im Frühjahr 2002 an der Universität Leipzig gehalten habe.
Die Machtpolitischen Interessen der USA und die europäischen Staaten im Kampf gegen den Terror
Von : Ensanyat.
Der Sozialphilosoph Theodor W. Adorno hat in Anspielung auf Hegel mal gesagt: Das ganze ist nicht das Wahre, sondern das ganze ist das falsche.“
Wenn man diese Aussage des Philosophen nicht anzweifelt, stellt sich die Frage, ob es überhaupt möglich ist, in einer Gesellschaft und in einer Welt, deren Totalität aus falschen Maximen besteht, Partei zu ergreifen. Wer in einer Staatenwelt, deren Determinanten auf Gewalt beruhen, sich an die Seite einer falschen Sache stellt, der schaltet die Kritik aus und trägt dazu bei, das falsche zu verfestigen.
Nach den Anschlägen auf die USA wurde besonders deutlich, wie sehr es auch viele Linke immer wieder danach verlangt, Partei zu ergreifen, auch wenn es bedeutet, sich mit Massenmördern gemein zu machen oder in den Schoß der bürgerlichen Gesellschaft zurückzukehren.
Die Macher und Machthaber in der westlichen Welt haben den Angriff auf New York als Angriff auf die sog. „freie Welt“, die westlichen Werte und den „American Way of Life“ konstruiert. Endlich konnte sich Huntingtons Konstrukt vom „Zusammenprall der Kulturen“ bewahrheiten.
Bin Ladin als vermutlicher Initiator der Anschläge, hingegen sieht die USA als personifizierten Satan, der nichts anderes als Unheil über die Welt bringt. Die USA selbst wird als Handlanger des Judentums betrachtet und damit der Vernichtung preisgegeben.
Die US-Regierung ebenso wie Bin Ladin haben sich dem Kampf gegen „das Böse“ verschrieben, um darüber ihre politischen Feinde zu identifizieren.
Die tatsächliche Polarisierung der Welt lässt sich natürlich nicht aus moralischen oder kulturellen Kategorien ableiten sondern ist durch politische und ökonomische Prozesse bestimmt.
Die Thesen meiner Arbeit sind: 1.Der Terrorismus ist ein Produkt dieser Weltordnung und eine reaktionäre Antwort auf deren ökonomische und soziale Verwerfungen , 2. Im Kampf gegen den Terrorismus ging und geht es den USA darum, ihr verletztes außenpolitisches Gewaltmonopol wiederherzustellen, ihre Hegemonie innerhalb und außerhalb des westlichen Lagers zu verfestigen und ihre geostrategischen Interessen in Zentralasien und dem arabischen Raum sicherzustellen.
Zunächst möchte ich in einem kleinen Exkurs zeigen, wie die USA im Wettbewerb der Staatenwelt und des Kapitals zur Weltmacht Nr. 1 aufgestiegen sind und mit welchem Feind sie es zu tun haben. Danach werde ich die machtpolitischen Interessen der USA und Europas im aktuellen Konflikt detailliert erläutern.
I
Die bipolare Spannung der Welt, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Kalten Krieg der Supermächte manifestierte, war ein Ergebnis der europäischen Geschichte, die im Jahre 1989 zu Ende ging. An Weihnachten 1991 sprach US-Präsident Bush aus Anlaß des Rücktritts von Gorbatschow zu seiner Nation und redete von einem US-Sieg im Kalten Krieg. Die Guten hätten endlich das „Reich des Bösen“ besiegt.
Daß die Vereinigten Staaten nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes zur einzigen Weltmacht wurden, ist aber keineswegs selbstverständlich.
Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass die Hierarchisierung der Welt in Zentren und Peripherien ein Produkt des Akkumulationsprozesses des Kapitals war, dessen Gesetzmäßigkeit auf einem auf den Weltmarkt einwirkenden Wertgesetz beruht. Dieser Prozeß ist historisch auf der Grundlage bürgerlicher Nationalstaaten entstanden. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert begann das Kapital seine nationalstaatlichen Grenzen zu überschreiten, um über die natürlichen und menschlichen Ressourcen anderer Weltregionen verfügen zu können und einen Weltmarkt zu eröffnen. Die Länder Afrikas und Asiens wurden damit in koloniale Peripherien verwandelt.
Die beiden Weltkriege, die im 20. Jahrhundert stattfanden, hatten zur Konsequenz, dass die USA sowohl im ökonomischen als auch im militärischen Bereich zur führenden Macht wurden. Neben dem amerikanischen Weg zum Kapitalismus, den Marx ausführlich erläutert hat, ist die Kriegsökonomie der Garant des technologischen Fortschritts dieser Nation. Die USA waren ökonomisch während des 2 Weltkrieges in der Lage, die Alliierten zu einem guten Teil mit Kriegsmaterial mitzuversorgen und hatten bis Ende des Krieges ihr militärisches Potential längst nicht ausgeschöpft. Hinzu kommt es, dass die USA in Zeiten des Krieges weiter aufgebaut werden konnten und sich die eigenen Verluste in Grenzen hielten. Positiv zu bewerten war für die USA auch, dass die führenden Großmächte in Europa – Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien – zerschlagen, bzw. stark geschwächt wurden. Negativ brachte der 2. Weltkrieg für die USA die Entstehung des Ostblocks und der GWG, die sich in der neu entstandenen Weltordnung zu behaupten wusste.
Der Wettbewerb der beiden Systeme förderte den Interventionismus der USA und der Sowjetunion in den Peripheriestaaten. Da der Weltmarkt für die kapitalistischen Länder eine Grundvoraussetzung für die Vermehrung des Kapitals darstellt, wurden immer wieder militärische Interventionen als notwendig erachtet, sobald der freie Handel in Gefahr gewähnt wurde. Die europäischen Staaten konnten unter dem Schutzmantel der USA ihre ökonomischen Beziehungen ausweiten und waren in diesem Sinne Nutznießer der amerikanischen Machtpolitik.
Durch die neoliberale Neuordnung der Welt seit Beginn der 70er Jahre wurde das vorhandene Nord-Süd-Gefälle weiter verschärft. Die sog. Strukturanpassungsprogramme zwangen die Peripheriestaaten zu einer extremen Sparpolitik und der Öffnung ihrer Märkte für das westliche Kapital. Noch vorhandene subsistenzwirtschaftliche Strukturen wurden dadurch weitgehend zerstört, die Entwurzelung und Verarmung großer Teile der Bevölkerung verstärkt. Die neoliberale Ideologie der freien Marktwirtschaft verfolgt allerdings eine Doppelstrategie: Einerseits durchdringt das Kapital die Staaten, die für das Kapital rentabel sind, andererseits werden durch die Marktmechanismen bestimmte Regionen vom Weltmarkt abgekoppelt und verkümmern.
Der Aufstieg des Islamismus in diesen Regionen ist im Zusammenhang mit der gescheiterten Modernisierung und der steigenden Massenarmut zu sehen, sowie den gescheiterten Versuchen des Aufbaus sozialistischer Gesellschaften.
Neben den jeweils länderspezifischen Faktoren war es ein wichtiger Faktor, dass es den Islamisten in einigen Ländern gelang, die soziale Unzufriedenheit der Bevölkerung aufzugreifen und in ihr antiamerikanisches und antisemitisches Weltbild zu kanalisieren. Von Kapitalismuskritik völlig unbeleckt, verteufeln sie die USA und das Judentum als Urheber allen Übels. Gegen die westliche Dominanz setzen sie Nationalismus und antiwestliches Ressentiment. Die Bewahrung der vermeintlichen nationalen Identität und der islamischen Kultur soll den Geschädigten der herrschenden Weltordnung Rettung verheißen. Zitat: Bin Ladin
II
Was ist also am 11. September geschehen? Mit dem Angriff auf das World Trade Center und das Pentagon wollten die Terroristen das politische und militärische Gewaltmonopol der USA verletzen und aufzeigen, dass die USA verwundbar sind. Die Subjekte, die diesen Massenmord und die materiellen Zerstörungen verursachten, waren quasi Privatpersonen und nicht Abgesandte eines Staates. Es war also ein terroristischer Akt, dessen Subjekt nicht ein souveräner Staat war, der mit dem Angriff seinen politischen Willen durchsetzen wollte. Dennoch wurden die Geschehnisse als kriegerischer Akt klassifiziert. Die USA, die seit Pearl Harbour nicht auf eigenem Territorium angegriffen worden waren, waren in ihrer politischen Macht erschüttert. Die Antwort der USA durfte sich daher aus ihrer Sicht nicht auf eine polizeiliche Maßnahme beschränken, sondern sollte in ihrer Massivität verdeutlichen, dass jeder Angreifer auf die Weltmacht Nr. 1 mit der eigenen Vernichtung zu rechnen habe. Die Terroristen, die nicht im Auftrag eines Staates handelten, werden nicht als politische Feinde sondern als Verbrecher qualifiziert.
Mit der Kriegserklärung gegen den Terrorismus begannen die USA ihre Militärmacht zu mobilisieren. Der außenpolitische Berater des amerikanischen Präsidenten, Brent Scowcroft antwortete auf die Frage eines Spiegel-Redakteurs, ob es sinnvoll sei, von einem Krieg gegen den Terrorismus zu sprechen, folgendes: „Ja und nein. Sinnvoll, weil der Krieg der Mobilisierung dient.“ Nein, weil nichtmilitärische Maßnahmen im Kampf gegen den Terror eigentlich effizienter seien. Hiermit machte der außenpolitische Berater Bushs in erstaunlicher Offenheit deutlich, dass mit dem sog. „Krieg gegen den Terror“ Ziele verfolgt werden, die über die Terrorismusbekämpfung weit hinaus gehen.
In diesem Falle hat die USA zu einem Krieg aufgerufen, der die gesamte Welt in ein befreundetes und ein verfeindetes Leger aufteilt hat. Einzigartig im Vorgehen gegen die Terrorstrukturen, bzw. das afghanische Taliban-Regime war auch, dass der Militärschlag von Beginn an beschlossene Sache war und diplomatische Möglichkeiten nicht oder nur scheinbar in Anspruch genommen wurden. Es wurde nicht nur der Kampf gegen die Terroristen selber propagiert sondern auch gegen alle Staaten, die den Terrorismus unterstützen. Damit schafften sich die USA die Grundlage, gegen all die sog. „Schurkenstaaten“ militärisch vorzugehen, die sich bislang der Eingliederung in die herrschende Weltordnung widersetzt haben. Vor allem die islamischen Staaten hatten zu befürchten, im Falle einer Nicht-Solidarisierung mit den USA selbst ins Visier der Anti-Terror-Koalition zu geraten. Pakistan beispielsweise, dessen Staatsräson eng mit der islamischen Weltanschauung verflochten ist, fand sich in der Situation wieder, seine nationalen politischen Interessen in der Region den amerikanischen Sicherheitsinteressen unterordnen zu müssen. Indem die USA einen Ausnahmezustand über die Welt verhängten, bewiesen sie noch einmal ihre Souveränität und militärische Vormachtstellung innerhalb der Staatenwelt. (Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand bestimmt, Carl Schmitt)
Von den NATO-Staaten erwarteten die USA, den Angriff auf das WTC als einen kriegerischen Akt zu werten und den Bündnisfall auszurufen. Aus den konkreten Planungen und militärischen Aktionen wurden die NATO-Länder mit Ausnahme Englands allerdings weitgehend ausgeschlossen. Für die wichtigen europäischen Nationen wie Deutschland und Frankreich bedeutete dies eine Brüskierung und die Zurückverweisung auf eine Assistenten-Rolle innerhalb der NATO. Aus Angst bei der Neuordnung der Welt außen vor zu bleiben, drängelten sie den USA ihre militärische Beteiligung förmlich auf. Der deutsche Außenminister Joschka Fischer sagte: „ Daß wir jetzt fest an der Seit Amerikas stehen, das entscheidet über das weltpolitische Gewicht Deutschlands für die nächsten 30 Jahre.“ Und der außenpolitische Berater der Bundesregierung Karl Lamers dazu: „ Das Maß des Mitmachens regelt das Maß der Mitbestimmung.“
Zugleich versuchte die Europäische Gemeinschaft dabei eine Distinktion gegenüber dem Konkurrent USA zu schaffen, indem sie sich als moderate Mahner einbrachten, die die USA vor „militärischen Abenteuern“ warnten und den Schwerpunkt des Militäreinsatzes in dessen vermeintlich humanitären Zielsetzungen verorten wollten. Insbesondere Deutschland profilierte sich als Schirmherr des politischen Prozesses und des Wiederaufbaus in Afghanistan. Dadurch, dass immer wieder betont wurde, dass Deutschland keine eigenen Interessen in Afghanistan verfolge, konnte sich die Bundesregierung auf dem diplomatischen Parket weitere Weltgeltung verschaffen.
„Humanitäre Militärschläge“ sind selbstverständlich ein Widerspruch in sich und Atroismus war noch niemals die Sache der Nationalstaaten. Welche eigenen Interessen Deutschland und die anderen europäischen Staaten im „Krieg gegen den Terror“ verfolgen, werde ich später erläutern.
Ich möchte jetzt noch mal auf die Bedeutung der Ausrufung des NATO-Bündnisfalles eingehen und halte es für notwendig, einen kleinen Blick auf die Geschichte der NATO zu werfen.
Die NATO als sog. Verteidigungsbündnis hatte die vordringliche Aufgabe, den Ostblock in Schach zu halten. Vom Gegner Sowjetunion wurde angenommen, er wolle, warum auch immer, den „freien Westen“ überfallen. Das Transatlantische Bündnis hatte einen Doppelcharakter: 1. Die USA brauchten den europäischen Boden, um im Falle eines Krieges gegen die Sowjetunion Europa als Schlachtfeld für die Vorwärtsverteidigung zu nutzen. 2. Europa nutzte das militärische Abschreckungspotential der USA als Garantie für die „Sicherheit“ in Europa. Insofern waren Westeuropa und die USA aufeinander angewiesen.
Dieser Geschäftsgrundlage des NATO-Bündnisses ist nach 1989 der Boden entzogen worden, da der Ostblock aufgehört hatte, zu existieren. Mit anderen Worten: Die Vereinigten Staaten hatte keine plausible Legitimation mehr für ihr enormes militärisches Abschreckungspotential und weitere Aufrüstung. Darüber hinaus konnten sie ihre Interventionen in der Peripherie nicht mehr mit der Bekämpfung des Kommunismus rechtfertigen. Daher wurden von den USA neue Paradigmen und Feindbilder konstruiert. Nachdem Fukuyama Ende der 80er Jahre das Ende der Geschichte als Ende der ideologischen Konfrontationen gefeiert hatte, machte Samuel P. Huntington Anfang der 90er Jahre ein neues Paradigma vom Zusammenprall der Kulturen auf. Schon damals behauptete Huntington, dass „der Islam blutige Grenzen hat.“
1o Jahre nach Beendigung der Ost-West-Konfrontation wurde erstmals in der Geschichte der NATO der Bündnisfall ausgerufen. Rein militärisch waren die USA nicht auf die Unterstützung der Verbündeten angewiesen. Tatsächlich ging es den USA darum, ihre Vormachtstellung innerhalb des Bündnisses noch einmal zu verfestigen und sich der unbedingten Gefolgschaft der europäischen Staaten zu versichern. Die USA gingen von Anfang an davon aus, dass sich die militärischen Aktionen im „Kampf gegen den Terror“ nicht auf Afghanistan beschränken würden sondern sich auch gegen Länder im arabischen Raum richten würden, in denen die europäischen Staaten eigenständige wirtschaftliche Interessen verfolgen. Als die USA einen Militärschlag gegen den Irak ins Spiel brachten, regte sich sofortiger Protest seitens der europäischen Regierungen. Es wurde befürchtet, dass dadurch ein Flächenbrand in der Region entfacht und beispielsweise auch der Iran destabilisiert würde. Mehr als 400 deutsche Unternehmen treiben trotz der amerikanischen Boykottforderung Handel mit dem Iran oder haben sich dort als Investoren festgesetzt: im Maschinen- und Anlagenbau, im Motoren- und Großschiffbau, in der Telekommunikation, der Grund- und Spezialchemie, der Medizin- und Umwelttechnik, in der Ölfördertechnik und im Bergbau. All diese Investitionen möchte die deutsche Regierung natürlich nicht gefährdet sehen. Die sehr aktive Reisdiplomatie der europäischen Regierungsvertreter in die arabischen und asiatischen Staaten diente nicht zuletzt dazu, ihre „Geschäftspartner“ von einer Zustimmung zum Anti-Terror-Kampf zu überzeugen und sie damit aus der „Schusslinie“ zu bringen.
Aus meiner Sicht war der Ruf nach dem NATO-Bündnisfall ein geschickter Schachzug der USA, um die europäischen Staaten unter die amerikanischen Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen zu subsumieren und sie quasi dazu zu verpflichten, im Zweifelsfall auch gegen ihre eigenen Interessen zu handeln.
Dennoch ist der Krieg gegen den Terror auch eine Sache der europäischen Staaten, da es um die Sicherung von Einflusssphären geht. Spätestens mit Beginn der Währungsunion ist Europa zu einem ernsthaften wirtschaftlichen Konkurrenten der USA herangewachsen. War bislang das Bruttosozialprodukt der einzelnen europäischen Staaten viel niedriger als das amerikanische, ist es nun durch den Zusammenschluss der EU insgesamt höher. Schon jetzt relativiert der Euro den Dollar. Noch Anfang der 90er Jahre hatte sich der amerikanische Ex-Präsident Richard Nixon besorgt über die zukünftige Rolle Deutschlands als Konkurrent der USA geäußert. Er forderte die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland, um die Entstehung des europäischen Projektes mit einer einheitlichen Währung zu verhindern.
Dass die EU letztlich ein antiamerikanisches Projekt ist, zeigt sich auch im Plan des Aufbaus einer gemeinsamen europäischen Streitmacht, die ein von der USA unabhängiges militärisches Agieren ermöglichen soll.
Schauen wir uns nun die konkreten geostrategischen Interessen Europas und der USA in Zentralasien an: Der US-amerikanische Professor Brzezinski, Berater am „Zentrum für Strategische und Internationale Studien“ in Washington, bezeichnete die Region als „ökonomisches Filetstück“. „Wenn die Energiereserven der gegenwärtig Öl exportierenden Länder zur Neige gehen, besteht die Aussicht, dass Zentralasien über kurz oder lang einspringen und den Westen mit Öl versorgen wird.“ Die Ölreserven in der Region werden auf bis zu 20 % der weltweiten Ölreserven geschätzt. Daneben ist Zentralasien reich an Uran, Gold und Silbervorkommen. Mitte der 90er Jahre unterstützten die USA die Taliban in der Hoffnung, sie könnten den stabilen Transportkorridor durch Afghanistan gewährleisten. Geplant war und ist eine Pipeline von Turkmenistan durch Afghanistan und Pakistan, die eine Leitung durch den Iran überflüssig machen würde.
1997 prognostizierte Brzezinski, dass die Macht der USA auf der „eurasischen Landmasse“ den Ausschlag geben werde über „Amerikas globale Führungsrolle“. Die USA solle den Raum möglichst schnell stabilisieren, denn noch sei Russland politisch zu schwach und zu arm, um das Gebiet zu erschließen. Indem die USA Russland bewegten, Usbekistan und Tadschikistan als Vorposten des Krieges gegen den Terror freizugeben, setzten sie sich im zentralasiatischen Süden fest und konnten mit einzelnen Staaten eine längerfristige militärische Präsenz vereinbaren. Usbekistan und Aserbaidschan beispielsweise sind mittlerweile aus dem Verteidigungsbündnis mit Russland ausgestiegen. Der Einfluss Russlands in der Region, und indirekt auch der europäischen Konkurrenten, konnte damit bedeutsam zurückgedrängt werden.
Rußland hat in den letzten Jahren eine immer deutlichere Annäherung an die europäischen Staaten vollzogen. Der russische Präsident Putin hatte in einer Rede im Dt. Bundestag zu bedenken gegeben, dass Deutschland nur die engere Zusammenarbeit mit Russland eine führende Rolle in der Weltpolitik garantieren würde. Denn Putin sieht in dem Anti-Amerikanismus, der dem EU-Projekt zugrunde liegt, eine echte Zukunftschance für seine Nation. Den Euro-Politikern bot er Russland als Kapitalanlagesphäre, Naturressource und vor allem als Landbrücke mit kosteneffizienten Transportrouten zu Zentralasien und fernöstlichen Zentren an. Volker Rühe bezeichnete Zentralasien aufgrund seiner Bodenschätze und Verbindungswege als „lebenswichtig“ für Deutschland. 1998 bereits schrieben deutsche Experten, dass Deutschland ein „vitales Interesse“ an der Region habe, da deutsche Konzerne dort in Bergbau, Energie, Telekommunikation, Luftverkehr, Landtechnik, Textilindurstrie etc. engagiert sind.
Durch die militärische Intervention und Präsenz der USA in Zentralasien konnte auch der Einfluß Chinas in der Region zurückgedrängt werden. Da China seine Handels- und Investitionsbeziehungen mit den zentralasiatischen Staaten in den letzten Jahren stark ausgeweitet hat, ist es in den Augen der USA zu einem maßgeblichen Konkurrenten in der Region geworden. Um eine erneute Konfrontation mit den USA zu vermeiden, sahen sich China dennoch gehalten, den US-Aktionen im Rahmen der Terrorbekämpfung zuzustimmen.
Resümee:
Mit dem Krieg, den die Vereinigten Staaten gegen die Taliban und die Al-Quaida-Kämpfer führen, statuieren sie ein Exempel, was mit den Staaten oder Organisationen geschieht, die sich der herrschenden Weltordnung nicht bedingungslos einfügen wollen. Indem die Taliban anti-amerikanisch gesinnte Terroristen in Afghanistan aufgenommen haben, rückten sie ins Visier der USA. Mit der Bestrafung der Taliban und Al Quaida –Kämpfer, die nach Rumsfeld „die Rechte amerikanischer Angeklagter nicht verdient haben“, wollen die USA das verletzte Gewaltmonopol wiederherstellen. Diese genannten Momente, die in einem direkten Zusammenhang mit den Angriffen des 11. Septembers stehen, betrachte ich als ausschlaggebend für die militärischen Aktionen der USA. Die Subsumierung der aufstrebenden europäischen Staaten unter die amerikanische Vormacht und die Schaffung neuer Kräfteverhältnisse in Zentralasien durch die Zurückdrängung Russlands und Chinas können als quasi willkommener Begleitzweck im „Krieg gegen den Terror“ betrachtet werden. Die geostrategischen Interessen in der Region allein hätten sicherlich kein militärisches Eingreifen hervorgerufen. Die Tatsache, dass die Weltmacht Nr.1 seit über 50 Jahren nicht mehr auf eigenem Territorium angegriffen wurde, konnte nicht ohne massive Antwort bleiben.